Coaching und Nachwuchsförderung im NLZ

Am 26.07.2021 fand bei Union Berlin eine Fortbildung zum Thema Periodisiertes Coaching in der Nachwuchsförderung im NLZ statt. Veranstalter was der Bund Deutscher Fußballehrer (BDFL). Bei der ich als Experte für Coaching-Fragen mitwirken durfte.

Von Dr. Matthias Wolter (29.07.2021)

Mannschaft  uarmt sich bei der Nachwuchsförderung im NLZ
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Ist Coaching zur Nachwuchsförderung im NLZ hilfreich und notwendig?

In der Entwicklung der Leistungsfähigkeit eines jungen Sportlers oder gar eines Top-Talents wird in deutschen Nachwuchsleistungszentren (NLZ) vielerorts sehr gute Arbeit geleistet. Neben der fußballerischen Ausbildung, wird das Talent im Nachwuchsleistungszentrum mit vielen Angeboten unterstützt; sei es mit eigenen Sportpsychologen, Ernährungs- und Gesundheitsberatung oder Schulungen im Bereich der Social Media und vielen weiteren Angebote. Daraus kann man die Frage stellen, ist zusätzliches Coaching nicht irgendwann zu viel? Ein „Fussballkenner“ meinte zu mir: „Wir machen hier keine soziale Arbeit!“ Wumms, das saß!

Was ist Coaching eigentlich? Verstehen alle im Nachwuchsleistungszentrum dasselbe darunter?

Zunächst einmal stellt sich die Frage, was ist mit Coaching eigentlich gemeint? Redet man vom Teamcoaching, oder meint man Teambuilding oder Teamentwicklung? Haben die 1 zu 1 Gespräche zwischen Trainer und Sportler jetzt einfach nur einen anderen Namen bekommen? Oder ist mit Coaching nicht eher die Leadership-Entwicklung der Trainer gemeint? Des Weiteren spielt die Zielgruppe eine Rolle bei der Einschätzung: Gehts um die Entwicklung von absoluten Top-Talenten, um auch die letzten Promille der Leistungsentwicklung zu optimieren? Oder geht es um die Begleitung und persönliche Weiterentwicklung junger Menschen in einer Fußballmannschaft, die es wahrscheinlich nicht in die Topligen schaffen werden? Zu jedem Punkt lassen sich jeweils Blogs oder gar ganze Buchreihen schreiben.

Das Ziel entscheidet über die Coaching-Strategie in der Nachwuchsförderung im NLZ

Aus meiner Sicht sind es immer die Fragen, was und warum etwas erreicht werden soll. Daraus entwickelt sich dann die Frage nach dem Wie. Coaching-Angebote sollten zudem immer auf die Persönlichkeit der Fußballer und der Rahmenbedingungen ausgerichtet sein. Und zu guter Letzt braucht es eine kompetente Person im Trainerstab, die mit Coachingelementen und -techniken vertraut ist.  Da hat „der Fußball“, wie mir scheint, noch etwas Nachholbedarf. Es ist ein Unterschied, ob ich dem Sportler sage was er machen soll und geschlossene Ja-Nein-Fragen stelle, oder ob ich sehr gezielte Fragestrategien einsetze, damit der Sportler selbstreflexiv, kreativ und lösungsorientiert mitdenken kann.

Der schwierige Wechsel aus der Nachwuchsförderung im Nachwuchsleistungszentrum zu den Profis

In der Veranstaltung des BDFL wurde deutlich, dass gerade Top-Talente aus den Nachwuchsleistungszentren beim Wechsel in den Profibereich besondere Unterstützung benötigen. Es wurde von den anwesenden Praktikern bestätigt, dass im Wechsel vom Jugend- in den Herren-Profibereich doch sehr viele Talente „verloren“ gehen und sie es trotz herausragenden Talents und bester Voraussetzungen nicht schaffen, sich im Profibereich langfristig zu etablieren. Das kann u.a. daran liegen, dass der „Überflieger“ aus den U-Nationalmannschaften im Seniorenbereich auf einmal nicht mehr ein Überflieger ist. Oder dass die Erwartungshaltung zu hoch ist und das junge Talent nach 2-3 Spielen schon als der neuer Messi, Ronaldo, … gehandelt wird. Dazu kommt dann noch die Einflussname der Berater, möglicherweise der Eltern, der Presse, …

Unterstützung und Coaching für den Spieler

Spätestens in dieser Phase, aus meiner Sicht noch viel früher, braucht der Spieler entsprechendes Coaching oder umfassende, präventive Unterstützung, um seine Person und seine Rolle zu reflektieren sowie klare persönliche Ziele erarbeiten zu können. Eine spannende Frage hierbei ist, ob der Coach aus dem eigenen Verein oder der Nachwuchsförderung im Nachwuchsleistungszentrum kommen sollte? Kann ein Coach aus dem NLZ, und dadurch dem Arbeitgeber unterstellt, ein Talent ohne jedwede Eigeninteressen optimal unterstützen und beraten? Ralf Rangnick wies (nach Gründung seines eigenen Beratungsunternehmens) darauf hin, dass es eine „neutrale“ Person sein sollte.

Antizipatorisches Coaching

Ein junger, top-talentierter Fußballer sollte nicht nur lernen, Bälle und Laufwege seiner Teamkollegen zu antizipieren, sondern auch abseits des Platzes auf die anstehenden Herausforderungen, persönlichen Krisen und möglichen Fallstricke seiner jungen Karriere vorbereitet werden. Dafür ist es meines Erachtens absolut notwendig, schon frühzeitig und weit vor den immer größer werdenden Anforderungen, ein begleitendes Coaching für eine stabile Persönlichkeitsentwicklung anzubieten.

Aus meiner Sicht kann es eine „Positiv“ und „Negativ“-Antizipation sein, d.h. „Was kommt auf mich zu, wenn ich bei den Profis einschlage wie eine Bombe, die Presse und das Umfeld mich hochlobt? Wie gehe ich damit um? Welche Feedbacks sind ernst zu nehmen, welche Fallen lauern auf mich?“

Und genauso wichtig ist eine vorbereitende Auseinandersetzung mit möglichen negativen Erfahrungen, wenn die Entwicklung stagniert, die Spielzeiten gering sind, Trainer, Umfeld und Öffentlichkeit Kritik üben oder es kommentarlos wieder zurück in die U19 geht.

In jedem NLZ gibt es so viel an eigenen Profi-Erfahrungen, dass es ein leichtes ist, Fallstricke auszumachen und den Sportler entsprechend darauf vorzubereiten. Damit ein erfolgreicher, wenngleich nicht immer ein sofortiger, Wechsel in den Profibereich nachhaltig gelingt.

Vorbereitung auf Hochstresssituationen

Ein weiteres und aus meiner Sicht sehr spannendes Thema ist, wie man in der Nachwuchsförderung im NLZ, junge Spieler und insbesondere Top-Talente auf kommende Druck- und Stresssituationen gezielt vorbereiten kann. Wie sprechen von den sogenannten „Trainingsweltmeistern“ oder den Top-Spielern in den U-Ligen. Denn es reicht nicht, etwas zu können, sondern ich muss es auch abrufen können, wenn es darauf ankommt! Das moderne Wort hierfür wäre Resilienz. Diese (Un-)Fähigkeit konnte man anschaulich bei den Elfmeterschießen der letzten EM beobachten.

Hierzu braucht es neben dem Coaching die konkrete und sich möglichst häufig wiederholte Erfahrung, dass höchst anspruchsvollen Spiel- aber auch Lebenssituationen erfolgreich bewältigt werden. Man hört hierzu von erfolgreichen Leistungssportlern, dass Sie aus den härtesten Niederlagen am meisten profitiert haben. Das können aber oft nur die behaupten, die es geschafft haben und dadurch für die Öffentlichkeit sichtbar sind. Die erfolgreiche Bewältigung von Krisen macht etwas aus dem Fußballer was jeder Trainer haben möchte. Den Mentalitätsspieler.

„Geplantes Scheitern“ im Nachwuchsleistungszentrum

Um Widerstandfähigkeit und Resilienz im Fußball gezielt zu trainieren, braucht es zum einen das Hintergrundwissen, wie sich Selbstwirksamkeit und Kompetenzerwartung entwickeln und zum anderen kreative Trainingsansätze. Mein Arbeitstitel hierfür ist: Den Spieler „geplant scheitern zu lassen“ oder ihn „Emotional auf 120% trainieren“. Hierauf tiefer einzugehen würde aber den Rahmen dieses Blogs sprengen.

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Wenn Ihnen dieser (wie immer viel zu kurze und oberflächliche) Meinungsblog gefallen oder auch nicht gefallen hat, schreiben Sie mir gerne ein Feedback. Auch wenn Sie Anregungen für einen neuen Blog haben, freue ich mich über Ihre Zuschriften

Ihr Matthias Wolter

wolter@kompetenz-sieben.de