Von Dr. Matthias Wolter (25.09.2021)
WAS MACHT EIN GUTES DEESKALATIONSTRAINING AUS?
Eine einfache Antwort darauf könnte lauten: Was hilft, ist gut! Ich finde, das trifft es ganz gut. Die Kunst eines Trainers ist es, Inhalte, Deeskalationstechniken und -strategien zu vermitteln, die die Teilnehmer in ihrem Alltag praxisnah, konkret und umsetzbar unterstützen. Das und nichts anderes muss der Anspruch an ein Training sein!
DEESKALATIONSTRAINING FÜR UNTERSCHIEDLICHE KONTEXTE
Zum einen müssen die Inhalte eines Deeskalationstraining immer zum Kontext des Arbeitsalltages der Teilnehmer passen, da sich die Anforderungen in der sozialen Arbeit z.B. maßgeblich von einer Arztpraxis, (im) Bus- oder Zugverkehr, Jobcenter oder im Kindergarten unterscheiden können.
Zum anderen müssen die Deeskalationsinhalte auch zu den handelnden Personen passen. Die beste Technik kann kolossal scheitern, wenn sie nicht zum Profil eines Menschen passt. Persönlichkeitsmerkmale wie Temperament, Spontanität, Selbstbewusstsein, Erfahrung, Größe, Alter oder Geschlecht können hierbei eine Rolle spielen.
DEESKALATIONSTECHNIKEN MÜSSEN DEM „FISCH“ SCHMECKEN
Der altbekannte Spruch, „der Wurm muss dem Fisch und nicht dem Angler schmecken“, trifft auch für die Deeskalation zu. Neben dem Handlungskontext und der Persönlichkeit kommt noch das Gegenüber ins Spiel. Erinnern wir uns an die Frage in vielen Krimis: Was ist das MOTIV? So profan die Frage ist, so wichtig ist sie in eskalierenden Situationen. Ein Beispiel: Ein Kunde brüllt schon nach kurzer Wartezeit rum, „dass das alles so nicht geht!“ Was kann man tun, damit der Brüller das bekommt was er braucht, um das Brüllen zu reduzieren oder sein zu lassen? Häufig ist die Anerkennung der Wut, der Ärgers schon ein “schmackhafter” Anreiz oder eine sehr effektive Methode, die dem Gegenüber “schmeckt”.
MOTIVE/ZIELE FÜR DIE DEESKALATION ERKENNEN
Welches Motiv, welches Ziel kann der Brüller haben? Wofür möchte er eine Anerkennung erhalten? Eine Möglichkeit wäre, dass er “clever” erkannt hat, dass der Dienstleister laute Menschen im Wartebereich nicht möchte, so dass er sehr schnell zu einem Mitarbeiter oder gar Führungskraft gebracht wird und so seinen Willen bekommt. Man könnte hier von einem strategischen Denken ausgehen.
Ein anderes Motiv könnte sein, dass der Kunde möchte, dass er „gesehen“ wird und nicht versteht, wieso er als Kunde nicht wichtig ist. Hier könnte man von einem Bedürfnis nach Wichtigkeit/Bedeutung ausgehen.
Eine dritte Erklärung wäre, dass die Person einen richtig schlechten Tag hatte und so ziemlich alles daneben ging. Und jetzt muss auch noch am Schalter ewig gewartet werden. Das könnte der letzte Tropfen sein, der das Fass des Tages zum Überlaufen bringt. Es kommt zu einer Entladung. Vielleicht nicht absichtlich laut und aggressiv, aber dennoch sehr unangenehm für die Mitarbeiter.
BEDÜRFNIS ERKANNT > DEESKALATIONSSTRATEGIE AUSWÄHLEN
Je nach Motivlage ist es sinnvoll, eine dem Bedürfnis entsprechende Technik oder Strategie einzusetzen. Das wäre beim Brüller 1 zum Beispiel die „Entscheidungsmethode“, d,h. dem Kunden wird angeboten, sich zu entscheiden, ob er weiter brüllen möchte und so später/gar nicht bedient wird, oder ob er sich beruhigen möchte und dann alles dafür getan wird, damit er so schnell wie möglich Unterstützung bekommt. Beim emotionalen Brüller Nr. 1 könnte hilfreich sein anzumerken, “dass es heute wirklich schon sehr lange dauert und die Kritik nachvollziehbar ist”.
METHODENKOFFER FÜR DIE DEESKALATION
Da es im Berufs- und Privatleben eine Vielzahl von herausfordernden Alltagssituationen gibt, die von verschiedenen Menschen in unterschiedlichsten Kontexten initiiert werden ist es ratsam, sich nicht auf 1-2 „richtige“ Deeskalationstechniken zu fokussieren. Sondern einen übersichtlichen und nicht zu großen Methodenkoffer bei sich zu haben, in dem sich 4-6 Techniken und Strategien befinden, die
1. zu Ihnen passen,
2. sich in Ihrem Kontext bewährt haben und
3. bei Ihren Zielgruppen funktionieren..
ZIELGENAU HANDELN UND DEESKALIEREN
Wenn Sie Ihren Methodenkoffer nun mit effektiven Techniken bestückt haben, beginnt der vielleicht schwierigste Teil der Deeskalation (neben dem Erkennen von Bedürfnissen und Motiven).
Sie haben in einer Konfliktsituation die Herausforderung, das Ihnen ihre 5-6 Good-Practice auch unter massiven Stress einfallen (müssen) und sie rationale Entscheidungen treffen müssen, welche Technik sie wann und wie einsetzen. Wenn das misslingt, sind sie im Nachhinein in der unseligen Situation sich zu fragen: „Wieso fallen mir die guten Antworten und Ideen immer erst NACH der Situation ein“?
GUT SEIN, WENN ES DARAUF ANKOMMT!
Dies ist ein Punkt, der meiner Meinung nach zu selten in einem Deeskalationstraining für Mitarbeiter thematisiert wird: Was kann/muss ich tun, um auch unter Stress gut zu sein? Wie kann ich es trainieren, dass mir meine besten Antworten nicht NACH, sondern IN der Situation einfallen? Wie bleibe ich ruhig oder souverän, wenn mein Herz 180 Puls hat?
TRAINIEREN UNTER STRESS FÜR MITARBEITER
Diese Fragen sind meiner Meinung elementar. Ich wage sogar die These, dass die meisten Teilnehmer nicht immer viele neue Kompetenzen lernen müssen, sondern dass es vielmehr darum geht, dass die bestehenden Kompetenzen auch unter Stress, Wut, Angst, oder welcher Emotion auch immer, gezielt, sicher, rational abgerufen und im Kontext der Motive des Gegenübers eingesetzt werden. Nur weil ich etwas weiß, heißt es nicht, dass ich es dann auch unter Stress kann.
TRAINING DER SELBSTKONTROLLE UND DER ABRUFBARKEIT VON KOMPETENZEN
Aus diesem Grund haben wir ein Impuls- und Selbstkontrolltraining entwickelt, dass die oben genannten Kompetenzen gezielt trainiert. Dazu finden Sie auch etwas in einem unserer kommenden Blogs.
KÖRPERLICHE SELBSTVERTEIDIGUNG FÜR MITARBEITER?
Wenn eine Situation trotz bester Deeskalationstechniken dennoch eskaliert und es zu einem körperlichen Übergriff kommt, dann ist eine Option sicherlich die Flucht. Wenn eine Flucht oder eine Hilfestellung anderer nicht möglich sind, dann ist körperliche Gegenwehr geboten. Denn eines ist klar: jeder von uns hat ein Recht auf körperlichen Selbstschutz (Notwehr). Doch was kann man tun? Insbesondere wenn man Nichtkampfsportler ist?
Hierfür haben wir ein spezielles Selbstschutztraining für Mitarbeiter entwickelt. Da dieses Thema den Rahmen dieses Blogs sprengen würde, finden Sie weitere Informationen auf der Trainingsseite oder in einem unserer Blogs.
Neben den Trainingsangeboten haben wir als Kompetenz Sieben einen systematischen, ganzheitlichen Ansatz zum Mitarbeiterschutz entwickelt. Weitere Informationen finden Sie hier oder in einem unserer Blogs.
IHR FEEDBACK FREUT UNS!
Wenn Ihnen dieser (wie immer viel zu kurze oder zu oberflächliche) Meinungsblog gefallen oder auch nicht gefallen hat, schreiben Sie mir gerne ein Feedback. Auch wenn Sie Anregungen für einen neuen Blog haben, freue ich mich über Ihre Zuschriften.
Ihr Matthias Wolter