Schutzwesten für den Mitarbeiterschutz

Schutzwesten im Berufsalltag für den Mitarbeiterschutz, Eigensicherung und Selbstverteidigung?

Mein Name ist Andreas Arnemann. Die folgenden Informationen beruhen auf 38 Jahre Polizeidienst, u.a. als Einsatzleiter einer deutschen Spezialeinheit. 

Schutzwesten für den Mitarbeiterschutz
Bildquelle: ©K.-U.-Haessler | stock.adobe.com/Fotolia.com

SCHUTZWESTEN & GEWALT GEGEN MITARBEITER

Obwohl das öffentliche Leben im Jahr 2020 in weiten Teilen stillstand, kann doch der generelle Rückgang von Straftaten nicht nur als Erfolg gewertet werden. Denn die starken Rückgänge bei Diebstählen, Erpressung und Raub sind auch auf die Einschränkungen im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung zurückzuführen. Schwer dagegen wiegt, dass insbesondere die Gewalt gegen Beschäftigte im Dienst der Gesellschaft ein weiteres Mal angestiegen ist. 

WAS SAGEN DIE OFFIZIELLEN ZAHLEN?

Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik 2020 ist hier sehr deutlich:

6,1 Prozent mehr Übergriffe auf PolizeibeamtInnen und 5,9 Prozent mehr tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamt:innen und gleichstehende Personen. „Statt mehr Unterstützung erfuhren unsere Einsatzkräfte im Corona-Jahr 2020 noch mehr Gewalt. Wann schützen wir endlich die Menschen, die für uns im Einsatz sind?“, kommentierte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack die aktuellen Zahlen. Zugleich wies sie auch auf andere Bereiche hin. Neben Polizei, Feuerwehr- und Rettungskräften, seien auch Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr, der Krankenkassen und anderen öffentlichen Institutionen immer stärker und immer öfter von Übergriffen betroffen.

Seit Anfang 2020 macht der DGB daher mit der Initiative „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ auf die zunehmende Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen und privatisierten Bereich aufmerksam.

Ich wurde gefragt, einen Blog- Beitrag zum Thema „Schutzwesten“ zu schreiben … ist das sinnvoll?

Ja … Im nachfolgenden Beitrag geht es mir darum das Thema „Schutzwesten“ im Allgemeinen und im Besonderen, als eine sinnvolle Option mit Hinweisen und Tipps, für den Bereich der Anschaffung zu beschreiben.

SCHUTZWESTEN UND DEESKALIERENDE KOMMUNIKATION

Allerdings möchte ich vorab eines aus meiner Sicht klarstellen:

Die bedeutendste Möglichkeit gegen Gewalt ist die deeskalierende Kommunikation, unter Berücksichtigung von:

  • Beachtung sozialer Bedürfnisse
  • Regulierung eigener Impuls- und Selbstkontrolle 
  • Wissen von Fremd- und Selbstwahrnehmung
  • Handeln unter Stress

Diese o.g. Themen sind Grundlage für die Nutzung „sicherungstechnischer Möglichkeiten“, wie z.b. dem richtigen Tragen einer Schutzweste. Mehr erfahren Sie unter www.Kompetenz-Sieben.de.

Erst wenn diese Kompetenzen unter Stress abrufbar sind, kann ich mich anderen-, u.a sicherungstechnischen Fragen, wie z.b.: „Was sollte ich bei der Beschaffung einer Schutzweste beachten“ zuwenden.

Schon immer suchen Menschen nach einer Möglichkeit, sich vor Gefahren und Verletzungen zu schützen. Wir alle kennen das Bild eines Ritters, in seiner silbernen Rüstung – heute gibt es weit bessere und hochwertigere Materialien und Produktionsverfahren, allerdings bei der Vielzahl an diversen Anbietern unterschiedlicher Modelle verliert man schnell den Überblick. In diesem Artikel versucht „Kompetenz 7“ die wichtigsten Punkte und Auswahlkriterien zum Kauf einer geeigneten Schutzweste für den individuellen Sicherheitsbedarf für Sie darzulegen – gibt hilfreiche Tipps beim Tragen einer Schutzweste.

Definition: Ballistische Schutzweste

Sicherheit ist ein Gefühl – aber eben nicht nur. Kugelsichere Westen gibt es nicht. Laien wiegen sich häufig in „Sicherheit“ beim Gedanken eine ausgemusterte „Polizeiweste“ zu tragen. Dabei ist dieser Umstand mehr als zweifelhaft. Wenn überhaupt, gibt es beschusshemmende Westen. Wir wollen uns auf die Bezeichnung „Ballistische Schutzweste“ festlegen.

Eine solche Weste schützt den Träger bis zur angegebenen Schutzklasse vor der tödlichen Wirkung von Projektilen. Und hier liegt auch schon die Kernaussage:

„Als Träger einer Schutzweste erhalte ich lediglich die Chance zu überleben.“

Keineswegs aber kann eine Weste „schusssicher“ sein. Man sollte sich also vor Anbietern und Händlern, die mit Begriffen wie „kugelsicher“ oder „schusssicher“ hantieren, hüten. Hierbei handelt es sich häufig um unseriöse Verkäufer mit mangelndem Fachwissen.

Bedarfsanalyse

Um eine geeignete Schutzweste zu finden, muss zuerst der persönliche Bedarf ermittelt werden. Es gibt nicht „die beste Weste“ oder „die beste Schutzklasse“. Alle Variationen haben entsprechende Vor- und Nachteile. Wichtig ist zu wissen, wofür die Schutzweste überhaupt ballistischen Schutz bzw. ggf. Stichschutz benötigt.

Welche Schutzklasse bei Schutzwesten wird benötigt?

Folgende Fragen helfen, bei der Auswahl eines geeigneten Modells:

  • Benötigen Sie die Weste beruflich oder privat?
  • Möchten Sie sich nur gegen Projektile oder auch gegen Messerstiche schützen?
  • Welche Angriffe sind wahrscheinlich bzw. absehbar?
  • Tragen Sie die Weste offen oder verdeckt?
  • Wohnen und residieren Sie die meiste Zeit innerhalb Deutschlands?
  • Reisen Sie regelmäßig in Krisen- oder gar Kriegsgebiete?
  • Wieviel Geld sind Sie bereit auszugeben?

Diese Fragen dienen als eine Art Checkliste, um die Auswahl angebotener Produkte sinnvoll einzugrenzen. Wer als Sicherheitsmitarbeiter tätig ist, hat andere Voraussetzungen als ein anderer im privaten Gebrauch. Wer öfters im Ausland und insbesondere in Krisengebieten tätig ist, beispielsweise als Journalist oder Reporter, hat selbstverständlich ein höheres Risiko, wie ein Mitarbeiter bei der Feuerwehr, Rettungskräften, dem THW oder im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen als Gerichtsvollzieher oder Krankenkassenmitarbeitern. Jedoch ist die offene Trageweise hierbei kein Problem und es gibt somit mehr Möglichkeiten, sogenannte „Hartballistik-Einlagen“ nachzurüsten und somit eine höhere Schutzklasse zu erreichen.

Welche Schutzklassen bei Schutzwesten gibt es?

Damit sollten nun die wichtigsten Fragen zur Auswahl der geeigneten Schutzklasse geklärt sein. In Deutschland gibt es insgesamt vier offizielle Schutzklassen:

  • Schutzklasse 1 (SK1): schützt vor gängiger Kurzwaffenmunition
  • Schutzklasse 2 (SK2): schützt vor Kurzwaffenmunition mit Hartkern
  • Schutzklasse 3 (SK3): schützt vor Langwaffenmunition
  • Schutzklasse 4 (SK4): schützt vor Langwaffenmunition mit Hartkern

Offene oder verdeckte Trageweise der Schutzweste?

 Die Frage erübrigt sich eigentlich von selbst. Wer kein Angehöriger oben genannter Einrichtungen ist, sollte die Schutzweste unbedingt verdeckt tragen. Neben dem Aspekt der erhöhten Auffälligkeit (auch gegenüber der Polizei) könnte ein potentieller Angreifer ansonsten extra auf ungeschützte Körperpartien zielen. Bei verdeckter Trageweise ist dies nicht ersichtlich.

Tipp:

  • Kauft unter keinen Umständen Billigmodelle oder sogenannte „Polizeiwesten“. Hierbei handelt es sich häufig um ausgemusterte Modelle.

Warum ist das so?

Die verarbeiteten Materialien verlieren nach fünf bis zehn Jahren ihre Schutzeigenschaften. Dieser Prozess wird durch direkte Einstrahlung von UV-Licht zusätzlich beschleunigt. Eine ballistische Schutzweste sollten Sie immer neu kaufen, niemals gebraucht.

Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Stichschutz nur mit zusätzlichen Einlagen erreicht werden kann. Allein eine Schutzweste mit 1 schützt nicht vor Angriffen mit Messern oder anderen Stoßwaffen. Hierzu gibt es folgende Möglichkeiten.

Ballistische Schutzweste aufrüsten

Sollte der ballistische Schutz vor Projektilen für den Träger im Vordergrund stehen, dann kann er sich zuerst eine entsprechende Weste kaufen und nachträglich aufrüsten. Wichtig hierbei ist, dass er vor dem Kauf mit dem Händler abklärt, ob ein nachträgliches Aufrüsten der Schutzweste mit Stichschutzeinlagen möglich ist.

Verschiedene Angebote vergleichen

Nun steht dem Kauf Ihrer Schutzweste nichts mehr im Wege. Aufgrund der hohen Anschaffungskosten im drei- bzw. vierstelligen Bereich empfiehlt es sich ich Angebote verschiedener Händler zu vergleichen:

  • Besuchen Sie Händler vor Ort und lassen Sie sich gemäß Ihren individuellen Anforderungen und Bedürfnisse beraten. Meiden Sie Anbieter bzw. Verkäufer, die Ihnen „Polizeiwesten“ oder Dergleichen anbieten wollen.
  • Planen Sie ein Budget von 300,- bis 800,- € für ballistische Schutzwesten der Schutzklasse 1 ein. Sollten Sie zusätzlich Hartballistik- oder Stichschutzeinlagen benötigen, wird es entsprechend teurer.
  • Haben Sie sich für einen seriösen Anbieter entschieden, lassen Sie Ihre Größe nach Maß bestimmen. Kaufen Sie unter keinen Umständen „Modelle von der Stange“ nach Einheitsmaß. Insbesondere bei längerem Tragen ist es wichtig, dass alles so sitzt wie es soll.

Sicherheitshinweis:

  • Die Schutzweste niemals über Reißverschlüssen oder Knöpfen tragen! Diese erhöhen im Ereignisfall den Trauma-Effekt um ein Vielfaches und können zu schweren (inneren) Verletzungen führen.
  • Investieren Sie in atmungsaktive Funktionsunterwäsche und tragen Sie diese unter der eigentlichen Weste. Ansonsten kommt es unter Umständen zu unangenehmen Hautreizungen oder Ausschlägen.
  • Wenn ich mich entscheide eine Schutzweste im Einsatz zu tragen, sollte ich vor Einsatzbeginn eine Toilette aufgesuchten, um die Blase zu entleeren – dies verringert die Gefahr von schwerwiegenden Verletzungen bei Angriffen gegen den Genitalbereich.

FAZIT:

Eine ballistische Schutzweste ist eine sinnvolle Option, sich gegen bewaffnete Angriffe und Bedrohungen zu schützen. Qualität hat immer ihren Preis – dies gilt insbesondere im Bezug zu vermeintlichen Sonderangeboten. Billigmodelle („Polizeiwesten“) sollten unter allen Umständen gemieden werden. Hinterfragen Sie die Aussagen von Verkäufern und nehmen Sie im Zweifelsfall Kontakt zu einem Fachkundigen oder Experten auf, der Sie bei der Auswahl eines geeigneten Modells beratend unterstützen kann. Bedenken Sie auch, dass dieser Artikel keine persönliche Beratung zum Thema ersetzen kann, sondern als Anhaltspunkt dient.

Verhaltensorientierte Deeskalationskompetenz, so wie die Kompetenz Sieben GmbH sie anbietet, und sicherungstechnische Präventionen sollten gemeinsam funktionieren. Schutzausrüstung und Selbstverteidigung sind sicherlich greifbarer, aber eine alte Weisheit lautet:

“Die stärkste Waffe eines Menschen ist die Kommunikation.”

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